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Wolfgang Tomášek
D-
Deutschland
16.5.2018
An das Schweizerische Bundesgericht – Strafrechtliche Abteilung
Herrn Präsident .........., Herren Bundesrichtern .......... und ..........
Avenue du Tribunal fédéral 29
CH-
Zu Ihrem Urteil vom 14.2.2018 zur Beschwerde Herrn Beat M e i e r s,
derzeit Justizvollzugsanstalt Pöschwies, Regensdorf,
gegen den Beschluß des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 29. Juni 2017 (SR170013-
Sehr geehrte Herren Bundesrichter,
wenn ein Ausländer, Nichtjurist obendrein, sich zu einem Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts äußert, sollte das einen triftigen Grund haben. Mein Grund ist, daß ich Unrecht zu sehen meine, gegen das zu protestieren ich für meine Pflicht halte.
Ich bin Rentner, 76. Ich kenne und schätze Herrn Beat Meier seit seiner Zeit in Freiheit, vor etwa einem Vierteljahrhundert, als einen tüchtigen, aufrechten, und bis heute sozial engagierten Mann. Eine Visitenkarte zu seiner Ethik hat er mit seiner Kindheits-
In Ihrer Begründung der Abweisung seiner Beschwerde gegen die Entscheidung des Zürcher Obergerichts und damit indirekt der Abweisung seines Revisionsgesuchs meine ich eine zirkuläre Immunisierung der Entscheidungen der Vorinstanzen zu sehen, gegen die sich das Revisionsbegehren richtete, damit einen Verstoß gegen das „Recht auf wirksame Beschwerde“.
Diese Vorwürfe muß ich begründen.
1. Zirkuläre Immunisierung der Entscheidungen der Vorinstanzen
Sowohl in Ihren (ab)wertenden Begriffen, als auch in Auswahl und Gewichtung Ihrer Argumente, schließlich im Ignorieren von Argumenten des Beschwerdeführers bzw. seines Anwalts meine ich Zirkularitäten wahrzunehmen.
1.1. Einseitig wertende Begriffe in 'Sachverhalt' und 'Erwägungen'
Schon im Abschnitt A -
Ich nehme an, der Hintergrund für Ihre Begrifflichkeit ist der gleiche wie für die Vorinstanz, das Zürcher Obergericht (SR170013-
Nun hat Beat Meiers Anwalt seine Beschwerde gegen die ablehnende Entscheidung des Zürcher Obergerichts ja gerade mit Zweifeln an der Wahrheit der Faktenannahmen der Tatinstanz begründet. Sie müßten sich, so sehe ich es, als Richter auf der Revisionsebene zumindest in Ihren Erwägungen für diese Zweifel öffnen. Ohne auf diese Zweifel einzugehen und das Für oder Wider wenigstens im großen Ganzen abzuwägen, könnten Sie nicht einmal eine Entscheidung über eventuelle formalrechtliche Fehler der Vorinstanz treffen. Sie könnten sich also auch formalrechtlich nicht am Zweifel vorbeipirschen.
Den Begriff „Unschuldsvermutung“ halte ich selbst für irreführend, weil der Wortbestandteil „-
Wenn aber die „Nichtgeltung“ der Unschuldsvermutung „im“ Revisionsverfahren (im Sinne des Zürcher Obergerichts) meinen sollte, daß bei den Untersuchungen und Erwägungen zur Revision auf der Modellebene der Sprache die Unschuld des Antragsstellers bzw. hier Beschwerdeführers schon vor den Untersuchungen und Erwägungen, also schon vor jedem Zweifel ausgeschlossen werden sollte, nur um “für die Rechtskraft des angefochtenen Entscheids“ zu agieren, dann wäre die doch erst zu erarbeitende gerichtliche Entscheidung auf der Revisionsebene – etwa die Abweisung des Antrags bzw. der Beschwerde oder aber die Rückverweisung auf eine Tatinstanz – vorweggenommen.
Das Einspeisen eines vorweggenommenen Ergebnisses in die Untersuchung einer Frage selbst heißt „Zirkularität“. In Wissenschaft und rationaler Diskussion gilt so etwas als Fehler: Eine solche Zirkularität verfälscht, verschiebt oder verbiegt die Ergebnisse. Man könnte ein solches Vorgehen auch mit „septischem Arbeiten“ in der Medizin vergleichen, ohne vorbeugende Hygiene gegen eine Rück-
In strafrechtlichen Revisionsverfahren würde eine solche zirkuläre Untersuchungs-
Wenn so etwas nicht tatsächlich, etwa aus justizökonomischen Motiven, angestrebt werden soll, dann hieße das: Auf der Ebene des sprachlichen Modells dürfte auch im Revisionsverfahren zunächst weder die faktische Unschuld, noch die faktische Schuld des Antragstellers bzw. Beschwerdeführers angenommen werden. Es sollte dort weder eine Unschulds-
Es müßte sprachlich Neutralität gewahrt werden.
1.2. Einseitige Auswahl suggestiver Inhalte in 'Sachverhalt' und 'Erwägungen'
Neben neutralen, ergebnisoffenen Begriffen sollte meines Erachtens auch bei der Auswahl, Proportionierung und Gewichtung der Argumente Neutralität geübt werden. Es dürften auch „zwischen den Zeilen“ keine „atmosphärischen Suggestionen“ einfließen, die zirkulär auf die Erstinstanz zurückweisen, wie etwa die Nennung einer hohen Seitenzahl der erstinstanzlichen Urteilsbegründung in Abschnitt A unter „Sachverhalt“. Die Erwähnung dieser Seitenzahl suggeriert ein entsprechendes Gewicht der strafrechtlich relevanten Schuld Beat Meiers, ohne daß das eigentlich für Ihre bundesgerichtliche Entscheidung eine Rolle spielen dürfte.
Besonders ausgeprägt sind, soviel ich sehe, die Suggestionen im Abschnitt 2.5. Dieser Abschnitt ist der drittletzte Absatz des Kapitels 'Erwägungen' vor Ihrem zusammenfassenden Urteil. Er stellt im wesentlichen Zitate aus der erstinstanzlichen Verhandlung zusammen.
Ich frage mich: Was soll denn diese „tatrechtliche Erzählung“ hier? Warum werden etwa drei Aussagen von Dritten über Beat Meiers hohe Intelligenz zitiert – nicht aus Respekt, sondern um damit das darauf folgende Zitat vom „Tatverleugnungskontinuum“ als glaubhaft zu suggerieren? Was soll hier der Begriff „verleugnen“ statt des neutralen Begriffs „bestreiten“? Eine solche tatrechtliche „Stellungnahme“ kontrastiert zu der sonst beanspruchten tatrechtlichen Enthaltsamkeit eines Bundesgerichts bei seiner aktuellen Entscheidung.
Weiter: Was soll in diesem Abschnitt der „zwischen den Zeilen wahrnehmbare“ unvermittelte Wechsel vom vorher benutzten Konjunktiv der indirekten Rede auf ein Direktzitat im Indikativ, das die Tatvorwürfe der Erstinstanz aufzählt? In diesem Abschnitt 2.5 wird, so meine ich es zu sehen, sozusagen eine erstinstanzliche, tatrechtliche „Bleistift-
Weiter: Was soll hier ein Zitat über Beat Meiers sexuelle Orientierung, das die im heutigen Zeitgeist gängigen (Ab-
1.3. Ignorieren der Argumente des Rechtsanwalts
Was ich, etwa anstelle des Absatzes 2.5 Ihrer Urteilsbegründung, vermisse, das wäre eine Diskussion – Würdigung oder Widerlegung – der differenzierten Argumente des Rechtsanwalts für die Beschwerde gegen die Entscheidung des Zürcher Obergerichts. Ich kann zum Beispiel nicht sehen, daß Sie auf die Argumentation des Rechtsanwalts (unter Nr. 42 c) eingehen, daß das „neue Beweismittel“ eben nicht, wie Sie wie selbstverständlich unterstellen, allein eine schon immer bestehende physiologische Besonderheit sein solle, sondern daß sich dieses „neue Beweismittel“ (im Sinne des Revisionsrechts) zusammensetze aus dieser – in den bisherigen Verfahren nie thematisierten – physiologischen Besonderheit und gleichzeitig ihrer – ebenfalls bisher nie vorgenommenen – medizinischen Einstufung durch einen Arzt, was in Kombination mit einem früheren (negativen) medizinischen Befund bei Beat Meiers Stiefsöhnen die ihm vorgeworfenen Taten mit etlicher Plausibilität infragestellen, womöglich faktisch ausschließen könnte. All das diskutieren Sie nicht. Stattdessen fallen Sie – durch ein diskussionsloses Festhalten an einem engen Begriff von „neuer Tatsache“ bzw. „neuem Beweismittel“, den der Anwalt in der Begründung der Beschwerde längst angefochten hatte – zurück auf die Argumentationsebene der Vorinstanz.
Zur vertiefenden Klärung der Fragen um das von ihm geltend gemachte „neue Beweismittel“ schlug Beat Meiers Anwalt die Einholung eines neuen Gutachtens vor. Darauf gehen Sie nur mit der Auskunft ein, daß die Vorinstanz „den Eventualantrag zur Einholung eines Gutachtens abweisen“ durfte. Insgesamt ignorieren Sie, wie ich es zu sehen meine, trotz ausführlicher, aber nichtkommentierter Zitate in indirekter Rede, weitgehend die Argumentation des Rechtsanwalts. Ich frage mich: Nennt man so etwas „freie Beweiswürdigung“? Oder könnte man es auch „Vorurteil“ nennen? Oder gar „Befangenheit“?
Schließlich stellen Sie fest: „Der Einwand wäre gegebenenfalls im ordentlichen Straf-
2. Unmenschliche Strafjustiz
Im Abschnitt 2.1 schreiben Sie: „Eine Verletzung des Konventions-
Ich frage mich: Sollten denn die Menschenrechte, also das „Konventionsrecht“, nicht immer, bei jeder Gerichtsentscheidung, im Hintergrund stehen? Sollte sich ein Richter denn nicht immer – auch – darauf, als auf ein unmittelbar geltendes Recht, berufen dürfen, wie es etwa das deutsche Grundgesetz in seinem Artikel 1(3) zumindest formell fordert? Würde denn nicht ohne einen lebendigen Bezug zu den Menschenrechten das Recht zu einem autistisch-
Selbst wenn ich die Beschuldigungen gegen Beat Meier als zutreffend unterstellen wollte, dann kontrastiert das Maß an Straf-
Mir drängt sich der Gedanke an den Straf-
Als Richter müßten Sie eigentlich meinen Argwohn, daß hegemoniale Drahtzieherei im Spiel sein könnte, empört zurückweisen. Schließlich ist der Richter nur dem Gesetz und seinem Gewissen verpflichtet; Versuche, Richter zu nötigen oder zu bestechen, sind selbst kriminelle Delikte. Sie müßten darauf verweisen, daß es gesetzlich festgelegte, formalrechtliche Bindungen – um nicht zu sagen, Fesseln – sind, die Sie in redlicher Anwendung der präzisen rechtlichen Begriffe und in redlichen Erwägungen über die – im Revisionsverfahren überhaupt zugelassenen – „neuen Tatsachen“ bzw. „neuen Beweismittel“ folgerichtig, ja praktisch zwingend zu ihrer Entscheidung kommen lassen, die Beschwerde Beat Meiers gegen den Entscheid der Vorinstanz zurückzuweisen. Der Tenor Ihres Urteils suggeriert jedenfalls eine solche Folgerichtigkeit – ungeachtet der von mir kritisierten Zirkularitäten. Ich denke aber, diese Folgerichtigkeit kann nur relativ sein. Den Grund sehe ich in der Rolle unbestimmter Rechtsbegriffe.
3. Richterlicher Entscheidungsspielraum durch unbestimmte Rechtsbegriffe
Es gibt in den Erwägungen zu Ihrer Entscheidung eine ganze Reihe „unbestimmter Rechtsbegriffe“ bzw. „Konstrukte“, bis hin zu Begriffen der Alltagssprache, die gesetzlich nicht so festgelegt sein können, daß sie dem Richter keinen Auslegungs-
Solche Begriffe können grundsätzlich nicht in der Härte mathematischer Begriffe definiert sein, sonst könnte das Richteramt auch von einem hinreichend komplexen Algorithmus übernommen werden. Wenn, wie in Ihren Erwägungen, eine ganze Reihe solcher Begriffe vorkommen, dann kann es nicht sein, daß solche Erwägungen schon auf der syntaktischen Ebene zu einer quasimathematischen Folgerichtigkeit führen. Sie hätten mit wenigen minimal anders justierten Einschätzungen, insbesondere beim Begriff „Neuheit eines Beweismittels“, auch zu völlig anderen Ergebnissen kommen können, also auch etwa zu einer Rückverweisung auf eine Sach-
Allerdings könnten Sie darauf verweisen, daß es ja eine „Kommission“ gebe, die Beat Meier aus der Verwahrung freilassen könnte, wenn sie ihn als ungefährlich für die Allgemeinheit einschätzt, und daß für Verwahrte überhaupt diese Kommission zuständig sei, nicht mehr die Strafgerichtsbarkeit.
Außerdem, so könnten Sie nebenbei erwähnen, würde bei einer eventuellen Freilassung Beat Meiers durch diese Kommission keine Wiedergutmachungsleistung durch die Schweizer Justizkasse fällig. Das wäre für den Schweizer Fiskus günstiger. Weiter bräuchten Sie auch keinem/er Ihrer Kollegen/innen aus den Vorinstanzen einen Gesichtsverlust zumuten. Und schließlich bräuchten Sie keine anzüglich-
Daß aber diese patenten Kommissionen nach Zeitgeist entscheiden und auf die Kommentare der Boulevardpresse schielen, ist Ihnen wohl nicht ganz unbekannt. Dieser Zeitgeist ist derzeit in einem Sicherheitswahn befangen, was schon mehrfach beklagt wurde, auch von Richtern. Mit der Verantwortungsübergabe auf eine wahnhaft präventiv motivierte, psychiatrisch indoktrinierte Kommissions-
4. Zusammenfassung
Ich mag, sehr geehrte Herren Richter, irren oder danebengreifen – insbesondere bei der Verwendung oder Deutung dieses oder jenes Rechtsbegriffs. Ich glaube aber nicht, insgesamt in meiner Einschätzung zu irren, daß Herr Beat Meier unmenschlich und erniedrigend behandelt wurde und wird.
Ich mag auch darin irren, wie dieser oder jener bestimmte oder unbestimmte Rechtsbegriff gemäß derzeit „herrschender Meinung“ ausgelegt wird, aus der Sie nicht ohne weiteres ausscheren können, ohne eventuell die Rechtssicherheit zu tangieren, die selbst als hoher grundrechtlicher, zumindest gesellschaftsethischer Wert gilt. Ich mag deshalb Ihre rechtlichen und letztlich auch politischen Möglichkeiten gegenüber dieser Beschwerde gegen die Vorinstanz überschätzen. Ich glaube aber nicht, mich insgesamt zu irren, wenn ich Herrn Beat Meier seines Rechts auf wirksame Beschwerde beraubt sehe.
Mit freundlichen Grüßen aus Bayern
W. Tomášek
Ceterum censeo: Das Strafrecht ist durch das Wiedergutmachungsrecht zu ersetzen.
[Auf diesen Brief erhielt ich vom Generalsekretariat des Schweizerischen Bundesgerichts ein freundlich-