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Brief an das Bundesgericht

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Wolfgang Tomášek
D-94526 Metten
Deutschland

16.5.2018

An das Schweizerische Bundesgericht – Strafrechtliche Abteilung
Herrn Präsident .........., Herren Bundesrichtern .......... und ..........

Avenue du Tribunal fédéral 29
CH-1000 Lausanne 14


Zu Ihrem Urteil vom 14.2.2018 zur Beschwerde Herrn Beat  M e i e r s,
derzeit Justizvollzugsanstalt Pöschwies, Regensdorf,
gegen den Beschluß des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 29. Juni 2017 (SR170013-O/U/ad)




Sehr geehrte Herren Bundesrichter,

wenn ein Ausländer, Nichtjurist obendrein, sich zu einem Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts äußert, sollte das einen triftigen Grund haben. Mein Grund ist, daß ich Unrecht zu sehen meine, gegen das zu protestieren ich für meine Pflicht halte.

Ich bin Rentner, 76. Ich kenne und schätze Herrn Beat Meier seit seiner Zeit in Freiheit, vor etwa einem Vierteljahrhundert, als einen tüchtigen, aufrechten, und bis heute sozial engagierten Mann. Eine Visitenkarte zu seiner Ethik hat er mit seiner Kindheits-Auto­biographie „Eine Schweizer Kindheit“ veröffentlicht. Beat Meier ist bis zur Stunde schon länger in der Strafvollzugsanstalt 'Pöschwies' eingelocht als die Terroristen der RAF in Deutschland eingelocht waren. Schon dies halte ich für unmenschlich, für einen Verstoß gegen das „Verbot unmensch­licher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung“.

In Ihrer Begründung der Abweisung seiner Beschwerde gegen die Entscheidung des Zürcher Obergerichts und damit indirekt der Abweisung seines Revisionsgesuchs meine ich eine zirkuläre Immunisierung der Entscheidungen der Vorinstanzen zu sehen, gegen die sich das Revisionsbegehren richtete, damit einen Verstoß gegen das „Recht auf wirksame Beschwerde“.

Diese Vorwürfe muß ich begründen.

1. Zirkuläre Immunisierung der Entscheidungen der Vorinstanzen

Sowohl in Ihren (ab)wertenden Begriffen, als auch in Auswahl und Gewichtung Ihrer Argumente, schließlich im Ignorieren von Argumenten des Beschwerde­führers bzw. seines Anwalts meine ich Zirkularitäten wahrzunehmen.

1.1. Einseitig wertende Begriffe in 'Sachverhalt' und 'Erwägungen'

Schon im Abschnitt A - „Sachverhalt“ - bezeichnen Sie zwei Stiefsöhne Beat Meiers ohne Anführungszeichen mit dem Begriff „Geschädigte“, obwohl diese ihre mög­licher­weise seinerzeit durch entsprechenden Befragungsdruck (wie in anderen bekannten bzw. berüchtigten Strafprozessen mit ähnlicher Thematik aus dieser Zeit) ausgelösten Beschuldigungen widerrufen haben und von Anfang an bis heute in positiver Beziehung zu Herrn Meier stehen. Müßte nicht in den Erwägungen zu einem letztgerichtlichen Urteil in einem Strafverfahren, in dem der Beschwerdeführer von Anfang an bis heute die Beschuldigungen bestreitet, auf der Ebene der Revisionsinstanzen eine andere, neutrale Bezeichnung verwendet werden statt des Begriffs „Geschädigter“? Dieser Begriff aus dem Sprach­inventar von Staatsanwälten unterstellt meines Erachtens die Annahmen des erstinstanzlichen Urteils von vornherein als sachlich wahr – ohne deren doch gerade hier auf der Revisionsebene bestrittene sachliche Wahrheit in der „Darstellung des Sachverhalts“ erst einmal offenzulassen – unabhängig von der selbstverständlich bis auf weiteres unveränderten Rechtskraft der tatinstanzlichen Entscheidungen.

Ich nehme an, der Hintergrund für Ihre Begrifflichkeit ist der gleiche wie für die Vorinstanz, das Zürcher Obergericht (SR170013-O/U/ad), das in Abschnitt 2 des Hauptabschnitts III (Revision) feststellt: „Die Behauptungs- und Beweis­führungslast trifft somit alleine den Gesuchsteller, (…). Entsprechend gilt im Revisions­verfahren auch die Unschulds­vermu­tung nicht, sondern der Grundsatz „Im Zweifel für die Rechtskraft des angefochtenen Entscheids“.

Nun hat Beat Meiers Anwalt seine Beschwerde gegen die ablehnende Entscheidung des Zürcher Obergerichts ja gerade mit Zweifeln an der Wahrheit der Faktenannahmen der Tatinstanz begründet. Sie müßten sich, so sehe ich es, als Richter auf der Revisionsebene zumindest in Ihren Erwägungen für diese Zweifel öffnen. Ohne auf diese Zweifel einzu­gehen und das Für oder Wider wenigstens im großen Ganzen abzuwägen, könnten Sie nicht einmal eine Entscheidung über eventuelle formalrechtliche Fehler der Vorinstanz treffen. Sie könnten sich also auch formalrechtlich nicht am Zweifel vorbeipirschen.

Den Begriff „Unschuldsvermutung“ halte ich selbst für irreführend, weil der Wortbestandteil „-vermutung“ in dieser Zusammensetzung vom gängigen Sprachgebrauch abweicht. Ein Polizist oder Staatsanwalt, der gegen jemand ermittelt, den er eines Delikts verdächtigt, kann nicht gleichzeitig dessen Unschuld als Faktum „vermuten“. Er kann und muß sich aber offenhalten für die Möglichkeit, daß der Verdacht in die Irre geht, muß (müßte …) belastende wie auch entlastende Gesichtspunkte sammeln und die endgültige Entscheidung über diesen Verdacht dem Richter überlassen. Bis zu dieser richterlichen Entscheidung darf er den Betreffenden nicht schon auf eigene Faust als Delinquenten behandeln, sondern als Bürger, der auch entgegen einem zunächst plausiblen Verdacht unschuldig sein kann und deshalb rechtlich als unschuldig zu gelten hat. So etwas ist aber im gängigen Sprachgebrauch keine „Vermutung“. Inhaltlich müßte meines Erachtens der Begriff „Unschuldsvermutung“ mit „Offenhalten der Schuldfrage bis zu einer richterlichen Entscheidung“ oder Ähnlichem umschrieben werden.

Wenn aber die „Nichtgeltung“ der Unschuldsvermutung „im“ Revisionsverfahren (im Sinne des Zürcher Obergerichts) meinen sollte, daß bei den Untersuchungen und Erwägungen zur Revision auf der Modellebene der Sprache die Unschuld des Antragsstellers bzw. hier Beschwerdeführers schon vor den Untersuchungen und Erwägungen, also schon vor jedem Zweifel ausgeschlossen werden sollte, nur um “für die Rechtskraft des angefochtenen Entscheids“ zu agieren, dann wäre die doch erst zu erarbeitende gerichtliche Entscheidung auf der Revisionsebene – etwa die Abweisung des Antrags bzw. der Beschwerde oder aber die Rückverweisung auf eine Tatinstanz – vorweggenommen.

Das Einspeisen eines vorweggenommenen Ergebnisses in die Untersuchung einer Frage selbst heißt „Zirkularität“. In Wissenschaft und rationaler Diskussion gilt so etwas als Fehler: Eine solche Zirkularität verfälscht, verschiebt oder verbiegt die Ergebnisse. Man könnte ein solches Vorgehen auch mit „septischem Arbeiten“ in der Medizin vergleichen, ohne vorbeugende Hygiene gegen eine Rück-Infektion durch die ärztlichen Maßnahmen selbst.

In strafrechtlichen Revisionsverfahren würde eine solche zirkuläre Untersuchungs- und Erwägungspraxis wohl in kurzer Zeit dazu führen, daß Revisionsanträge kaum überhaupt noch erfolgreich sein können. Mit einem systematischen Ausschluß der Unschuld schon bei der Bearbeitung eines Revisionsantrags bzw. einer entsprechenden Beschwerde könnte sich die Erstinstanz darauf verlassen. Sie könnte selbst die Möglichkeit der Unschuld des Angeklagten mehr oder weniger unbeachtet lassen, denn ein solches Versäumnis könnte auf der Ebene der Revision nicht mehr korrigiert werden. Die Tatinstanz hätte also einen „Joker“ für die Revisionsfestigkeit ihrer Entscheidungen in der Tasche und bräuchte sich nur noch auf das Konstrukt „freie Beweiswürdigung“ zu berufen, um gegenstehende Beweise links liegen oder überhaupt unbeachtet zu lassen, bzw. entsprechende Beweisanträge des Anwalts abzuweisen. Sie könnte sich auch von vornherein im Brustton richterlicher Überzeugung von jedem „Zweifel“ an der Schuld des Angeklagten fernhalten und damit dem Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ von vornherein gar keinen Ansatzpunkt bieten. Mit solchen Methoden könnte die Tatinstanz einen revisionsfesten Schuldspruch, gleichzeitig Beifall beim Breitenpublikum, womöglich auch Karriere-Punkte erreichen. Über kurz oder lang würde so etwas zur Routine – Beobachtungen in Deutschland weisen jedenfalls in diese Richtung.

Wenn so etwas nicht tatsächlich, etwa aus justizökonomischen Motiven, angestrebt werden soll, dann hieße das: Auf der Ebene des sprachlichen Modells dürfte auch im Revisions­verfahren zunächst weder die faktische Unschuld, noch die faktische Schuld des Antragstellers bzw. Beschwerdeführers angenommen werden. Es sollte dort weder eine Unschulds-, noch eine Schuldvermutung gelten:

Es müßte sprachlich Neutralität gewahrt werden.

1.2. Einseitige Auswahl suggestiver Inhalte in 'Sachverhalt' und 'Erwägungen'

Neben neutralen, ergebnisoffenen Begriffen sollte meines Erachtens auch bei der Auswahl, Proportionierung und Gewichtung der Argumente Neutralität geübt werden. Es dürften  auch „zwischen den Zeilen“ keine „atmosphärischen Suggestionen“ einfließen, die zirkulär auf die Erstinstanz zurückweisen, wie etwa die Nennung einer hohen Seitenzahl der erstinstanzlichen Urteilsbegründung in Abschnitt A unter „Sachverhalt“. Die Erwähnung dieser Seitenzahl suggeriert ein ent­spre­chen­des Gewicht der strafrechtlich relevanten Schuld Beat Meiers, ohne daß das eigentlich für Ihre bundesgerichtliche Entscheidung eine Rolle spielen dürfte.

Besonders ausgeprägt sind, soviel ich sehe, die Suggestionen im Abschnitt 2.5. Dieser Abschnitt ist der drittletzte Absatz des Kapitels 'Erwägungen' vor Ihrem zusammen­fassenden Urteil. Er stellt im wesent­lichen Zitate aus der erstinstanzlichen Verhandlung zusammen.

Ich frage mich: Was soll denn diese „tatrechtliche Erzählung“ hier? Warum werden etwa drei Aussagen von Dritten über Beat Meiers hohe Intelligenz zitiert – nicht aus Respekt, sondern um damit das darauf folgende Zitat vom „Tatverleugnungskontinuum“ als glaubhaft zu suggerieren? Was soll hier der Begriff „verleugnen“ statt des neutralen Begriffs „bestreiten“? Eine solche tatrechtliche „Stellungnahme“ kon­trastiert zu der sonst bean­spruch­ten tatrechtlichen Enthaltsamkeit eines Bundesgerichts bei seiner aktuellen Ent­scheidung.

Weiter: Was soll in diesem Abschnitt der „zwischen den Zeilen wahrnehmbare“ unvermit­telte Wechsel vom vorher benutzten Konjunktiv der indirekten Rede auf ein Direktzitat im Indikativ, das die Tatvorwürfe der Erstinstanz aufzählt? In diesem Abschnitt 2.5 wird, so meine ich es zu sehen, sozusagen eine erstinstanzliche, tatrechtliche „Bleistift-Kontur“, die doch im Revisionsantrag und dann der Beschwerde gegen dessen Abweisung infrage­gestellt wurde, einfach „mit Kugelschreiber nachgezogen“ – und das als Begründung für die Ablehnung der Beschwerde Beat Meiers gegen die Vorinstanz, also zirkulär.

Weiter: Was soll hier ein Zitat über Beat Meiers sexuelle Orientierung, das die im heutigen Zeitgeist gängigen (Ab-)Wertungen ohne jede Relativierung oder auch nur Reflexion übernimmt? Sollen diese Abwertungen denn für die sonst entschieden formalrechtlich orientierte Begründung Ihres Urteils einen reellen Begründungswert besitzen? – Was sie zweifellos besitzen, das ist eine negative atmosphärische Ausstrahlung. Es schaut für mich so aus, als wollten Sie kurz vor der Urteilsformulierung bei einem imaginären Breiten­publikum eine beifällige Stimmung erzeugen für Ihre Ablehnung von Beat Meiers Beschwer­de. Ich frage mich: Hätte ein Schweizer Bundesgericht es nötig, seine Entschei­dung auf einem solchen Niveau zu begründen?

1.3. Ignorieren der Argumente des Rechtsanwalts

Was ich, etwa anstelle des Absatzes 2.5 Ihrer Urteilsbegründung, vermisse, das wäre eine Diskussion – Würdigung oder Widerlegung – der differenzierten Argumente des Rechtsanwalts für die Beschwerde gegen die Entscheidung des Zürcher Obergerichts. Ich kann zum Beispiel nicht sehen, daß Sie auf die Argumentation des Rechtsanwalts (unter Nr. 42 c) eingehen, daß das „neue Beweismittel“ eben nicht, wie Sie wie selbstverständlich unterstellen, allein eine schon immer bestehende physiologische Besonderheit sein solle, sondern daß sich dieses „neue Beweismittel“ (im Sinne des Revisionsrechts) zusammensetze aus dieser – in den bisherigen Verfahren nie thematisierten – physiologischen Besonderheit und gleichzeitig ihrer – ebenfalls bisher nie vorgenommenen – medizinischen Einstufung durch einen Arzt,  was in Kombination mit einem früheren (negativen) medizinischen Befund bei Beat Meiers Stiefsöhnen die ihm vorgeworfenen Taten mit etlicher Plausibilität infragestellen, womöglich faktisch ausschließen könnte.  All das diskutieren Sie nicht. Stattdessen  fallen Sie – durch ein diskussionsloses Festhalten an einem engen Begriff von „neuer Tatsache“ bzw. „neuem Beweismittel“, den der Anwalt in der Begründung der Beschwerde längst angefochten hatte –  zurück auf die Argumentationsebene der Vorinstanz.

Zur vertiefenden Klärung der Fragen um das von ihm geltend gemachte „neue Beweismittel“ schlug Beat Meiers Anwalt die Einholung eines neuen Gutachtens vor. Darauf gehen Sie nur mit der Auskunft ein, daß die Vorinstanz „den Eventualantrag zur Einholung eines Gutachtens abweisen“ durfte. Insgesamt ignorieren Sie, wie ich es zu sehen meine, trotz ausführlicher, aber nichtkommentierter Zitate in indirekter Rede, weitgehend die Argumentation des Rechtsanwalts. Ich frage mich: Nennt man so etwas „freie Beweiswürdigung“? Oder könnte man es auch „Vorurteil“ nennen? Oder gar „Befangenheit“?

Schließlich stellen Sie fest: „Der Einwand wäre gegebenenfalls im ordentlichen Straf- oder Rechtsmittelverfahren vorzubringen gewesen“ (2.6). Ich frage mich: Hätten Sie, oder auch schon die Vorinstanz, wenn es um einen Mordvorwurf gegangen wäre, ähnlich hartnäckig wie hier, die Neuheit vorgebrachter Tatsachen/Beweismittel bestritten? Hätten Sie da keinen Weg gefunden, um etwa das vorliegende Revisionsverfahren in ein „ordentliches Straf- oder Rechtsmittelverfahren“ zu überführen? Hätten Sie einen womöglich unschuldig als Mörder zu „Lebenslänglich“ oder Sicherungsverwahrung Verurteilten wirklich bis zu seinem Lebensende im Loch verschmoren lassen, wie Sie es mit Beat Meier machen? Hätten Sie auch in einem solchen Fall kühl, wie es die Vorinstanz tat, darauf verwiesen, daß die Unschuldsvermutung im Revisionsverfahren eben nicht mehr gelte?

2. Unmenschliche Strafjustiz

Im Abschnitt 2.1 schreiben Sie: „Eine Verletzung des Konventions- oder Völkerrechts wird nicht begründet (Art. 106 Abs. 2 BGG), sodass darauf nicht einzutreten ist (BGE 142 III 364 E.2.4 S. 368; Urteil 6B_493/2017 vom 5. Oktober 2017 E.1.5)“

Ich frage mich: Sollten denn die Menschenrechte, also das „Konventionsrecht“, nicht immer, bei jeder Gerichtsentscheidung, im Hintergrund stehen? Sollte sich ein Richter denn nicht immer – auch – darauf, als auf ein unmittelbar geltendes Recht, berufen dürfen, wie es etwa das deutsche Grundgesetz in seinem Artikel 1(3) zumindest formell fordert? Würde denn nicht ohne einen lebendigen Bezug zu den Menschenrechten das Recht zu einem autistisch-formalistisch wirkenden Dorngestrüpp entarten?

Selbst wenn ich die Beschuldigungen gegen Beat Meier als zutreffend unterstellen wollte, dann kontrastiert das Maß an Straf- und Vernichtungswillen der Schweizer Strafjustiz, deren oberste Instanz Sie verkörpern, gegenüber der Person Beat Meiers zu der freundlichen Haltung der von Ihnen so genannten „Geschädigten“, ähnelt aber dem Straf- und Vernichtungswillen der Boulevardpresse. Mit der Verweigerung einer Revision bzw. Wiederaufnahme manifestiert sich dieser Straf- und Vernichtungswille der Schweizer Strafjustiz in der Verwahrung, einer, wie sie schon genannt wurde, „Todesstrafe auf Raten“, die in der Schweiz im gewöhnlichen Gefängnis vollzogen wird, also als Strafe, mit den dabei üblichen Schikanen, etwa Zwangsarbeit auch im Rentenalter, Internetentzug, Telefon- und Besuchskontingentierung usw. Ich kann mir diesen Straf- und Vernichtungswillen der Schweizer Strafjustiz nicht aus den konkreten Beschuldigungen gegen Beat Meier plausibel machen, deren Bestrafung – etwa vier Jahre Gefängnishaft – er faktisch schon mehrfach abgebüßt hat. Ich sehe eher Ähnlichkeiten mit dem Straf- und Vernichtungswillen der frühneuzeitlichen Inquisition gegenüber den sogenannten „Hexen“. Auch damals wurde, wie Friedrich Spee in seiner Schrift 'Cautio criminalis' von 1631 beklagt, die richterliche Neutralität mit dem Verweis auf ein „Crimen exceptum“, ein „Sonderdelikt“, beiseitegeräumt. Das heutige „Crimen exceptum“ sind, wie es schon mehrfach publiziert wurde, die Sexualdelikte.

Mir drängt sich der Gedanke an den Straf- und Vernichtungswillen der Hegemonialmacht etwa gegenüber Roman Polański auf; vom Argwohn bezüglich hegemonialer Drahtzieherei auch im Fall Beat Meiers kann ich mich nicht ohne weiteres befreien. Schilderungen solcher Drahtzieherei und ihrer Hintergründe finden sich etwa in Max Roths Buch „Uncle Sam's Sexualhölle erobert die Welt“ (Freiburg: Ahriman 2013); in Deutschland konnte ich so etwas selbst beobachten.

Als Richter müßten Sie eigentlich meinen Argwohn, daß hegemoniale Drahtzieherei im Spiel sein könnte, empört zurückweisen. Schließlich ist der Richter nur dem Gesetz und seinem Gewissen verpflichtet; Versuche, Richter zu nötigen oder zu bestechen, sind selbst kriminelle Delikte. Sie müßten darauf verweisen, daß es gesetzlich festgelegte, formal­rechtliche Bindungen – um nicht zu sagen, Fesseln – sind, die Sie in redlicher Anwendung der präzisen rechtlichen Begriffe und in redlichen Erwägungen über die – im Revisions­verfahren überhaupt zugelassenen – „neuen Tatsachen“ bzw. „neuen Beweis­mittel“ folge­richtig, ja praktisch zwingend zu ihrer Entscheidung kommen lassen, die Beschwerde Beat Meiers gegen den Entscheid der Vorinstanz zurückzuweisen. Der Tenor Ihres Urteils sug­ge­riert jedenfalls eine solche Folgerichtigkeit – ungeachtet der von mir kritisierten Zirkulari­täten. Ich denke aber, diese Folgerichtigkeit kann nur relativ sein. Den Grund sehe ich in der Rolle unbestimmter Rechtsbegriffe.

3. Richterlicher Entscheidungsspielraum durch unbestimmte Rechtsbegriffe

Es gibt in den Erwägungen zu Ihrer Entscheidung eine ganze Reihe „unbestimmter Rechtsbegriffe“ bzw. „Konstrukte“, bis hin zu Begriffen der Alltagssprache, die  gesetzlich nicht so festgelegt sein können, daß sie dem Richter keinen Auslegungs- und Entscheidungsspielraum übrigließen. Neben dem in Ihren Erwägungen entscheidenden Begriff aus dieser Kategorie, der „Neuheit“ einer „Tatsache“ bzw. eines „Beweismittels“, lese ich zum Beispiel auch von der „Erheblichkeit“ einer „neuen Tatsache“ (1.2), von „rechtlicher Bedeutsamkeit“ (1.2), von der „Wahrscheinlichkeit der Abänderung des früheren Urteils“ (1.3), von einem „strengen Rügeprinzip“ (1.5), von „willkürlich antizipierter Beweiswürdigung“ (2.6), von einer „blossen Kritik am Urteil“ (1.5), von „überlegenen Gründen“, von „klaren Fehlern eines früheren Gutachtens, die geeignet sind, die Beweisgrundlage des Urteils zu erschüttern“ (2.4), von einem „nicht beachtlichen Novum“ (2.4), von einer „umfangreichen Beweiswürdigung“ (2.4), von „rechts­medizinischer Erfahrung“ des einstigen Gutachters (2.4), von Befunden, denen bisher „kein Gewicht beigemessen“ wurde (2.4). Ich lese auch die grundsätzliche Feststellung „Die Revision kann nicht dazu dienen, rechtskräftige Entscheide immer wieder in Frage zu stellen“ – hierin insbesondere den Begriff „immer wieder“ (1.3).

Solche Begriffe können grundsätzlich nicht in der Härte mathematischer Begriffe definiert sein, sonst könnte das Richteramt auch von einem hinreichend komplexen Algorithmus übernommen werden. Wenn, wie in Ihren Erwägungen, eine ganze Reihe solcher Begriffe vorkommen, dann kann es nicht sein, daß solche Erwägungen schon auf der syntaktischen Ebene zu einer quasimathematischen Folgerichtigkeit führen. Sie hätten mit wenigen minimal anders justierten Einschätzungen, insbesondere beim Begriff „Neuheit eines Beweismittels“, auch zu völlig anderen Ergebnissen kommen können, also auch etwa zu einer Rückverweisung auf eine Sach- bzw. Tatinstanz. Wäre das nicht prinzipiell möglich gewesen, dann hätte wohl ein Anwalt kaum den Weg einer solchen Beschwerde gegen die Entscheidung des Zürcher Obergerichts wählen können, ohne Gefahr zu laufen, sich zu blamieren. Insgesamt: Sie hätten auch anders entscheiden können.

Allerdings könnten Sie darauf verweisen, daß es ja eine „Kommission“ gebe, die Beat Meier aus der Verwahrung freilassen könnte, wenn sie ihn als ungefährlich für die Allgemeinheit einschätzt, und daß für Verwahrte überhaupt diese Kommission zuständig sei, nicht mehr die Strafgerichtsbarkeit.

Außerdem, so könnten Sie nebenbei erwähnen, würde bei einer eventuellen Freilassung Beat Meiers durch diese Kommission keine Wiedergutmachungsleistung durch die Schweizer Justizkasse fällig. Das wäre für den Schweizer Fiskus günstiger. Weiter bräuchten Sie auch keinem/er Ihrer Kollegen/innen aus den Vorinstanzen einen Gesichtsverlust zumuten. Und schließlich bräuchten Sie keine anzüglich-hämische Aufbereitung der „neuen Tatsachen“ durch Medienkommentare fürchten.

Daß aber diese patenten Kommissionen nach Zeitgeist entscheiden und auf die Kommentare der Boulevardpresse schielen, ist Ihnen wohl nicht ganz unbekannt. Dieser Zeitgeist ist derzeit in einem Sicherheitswahn befangen, was schon mehrfach beklagt wurde, auch von Richtern. Mit der Verantwortungsübergabe auf eine wahnhaft präventiv motivierte, psychiatrisch indoktrinierte Kommissions-Nebenjustiz, ohne ernstzunehmende Verfahrensregeln oder Rechtsmittel, entmündigt sich, so meine ich es wahrzunehmen, die reguläre Strafjustiz. Damit übergibt sie die Stafette des Rechts an eine moderne Inquisition.

4. Zusammenfassung

Ich mag, sehr geehrte Herren Richter, irren oder danebengreifen – insbesondere bei der Verwendung oder Deutung dieses oder jenes Rechtsbegriffs. Ich glaube aber nicht, insgesamt in meiner Einschätzung zu irren, daß Herr Beat Meier unmenschlich und erniedrigend behandelt wurde und wird.

Ich mag auch darin irren, wie dieser oder jener bestimmte oder unbestimmte Rechtsbegriff gemäß derzeit „herrschender Meinung“ ausgelegt wird, aus der Sie nicht ohne weiteres ausscheren können, ohne eventuell die Rechtssicherheit zu tangieren, die selbst als hoher grundrechtlicher, zumindest gesellschaftsethischer Wert gilt. Ich mag deshalb Ihre rechtlichen und letztlich auch politischen Möglichkeiten gegenüber dieser Beschwerde gegen die Vorinstanz überschätzen. Ich glaube aber nicht, mich insgesamt zu irren, wenn ich Herrn Beat Meier seines Rechts auf wirksame Beschwerde beraubt sehe.

Mit freundlichen Grüßen aus Bayern

W. Tomášek

Ceterum censeo: Das Strafrecht ist durch das Wiedergutmachungsrecht zu ersetzen.


[Auf diesen Brief erhielt ich vom Generalsekretariat des Schweizerischen Bundesgerichts ein freundlich-formelles Dankschreiben vom 4.6.2018 mit dem Hinweis, daß das Bundes­gericht zu den von ihm gefällten Entscheidungen generell keine Korrespondenz führt, außerdem mit dem Hinweis auf die Internet-Fundstelle des betreffenden Urteils auf  www.bger.ch unter der Rubrik „Rechtsprechung (gratis)“/“weitere Urteile ab 2000“ mit der Referenz 6B_947/2017. Selbst diese formelle Antwort war nicht ganz selbstverständlich.  Ich habe mich dafür beim Generalsekretariat bedankt.]

 
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