Erklärung zu NZZ Artikel von BM - tinjo!

Direkt zum Seiteninhalt

Hauptmenü

Erklärung zu NZZ Artikel von BM

Privat! > DU > Begegnungen > Beat Meier

Zusätzliche Informationen
von Beat Meier
zum NZZ-Artikel von Brigitte Hürlimann, vom 10.06.2017
VERWAHRTER HOFFT AUF FREIHEIT


"In der Strafanstalt altern Menschen schneller, und sie werden krank ... "

(Dieser erste Satz im fettgedruckten Einschub am Anfang der online-Version des obigen Artikels gibt [auch] das wider, was der ehemalige JVA-Pöschwies-Direktor Graf, m.W. bei einem öffentlichen Auftritt anlässlich seiner Pensionierung Ende 2012 sagte.)

Der Artikel fasst die traurige Wahrheit dieses "Strafverfahrens" und der darauf folgenden Justizgeschichte sehr eindrücklich und verständlich zusammen. Umfassender und ausführlicher wäre in diesem Rahmen nicht möglich gewesen.
So stellen sich vielleicht für jene, die nicht ohnehin ausreichend über die Hintergründe informiert sind, einige, im Artikel nicht geklärte, Fragen.
Auf ein paar wichtige solche möchte ich hier möglichst detailliert eintreten und -ich kann es nicht lassen - bei der Gelegenheit noch so einiges an zusätzlichen Informationen beifügen.
Aber auch hierin kann ich nicht über alle Hintergrunde aufklären; dafür bräuchte es ein Buch. Für weitere Fragen stehe ich indes gerne zur Verfügung.
(U. = jüngster-; K. = zweitjüngster-; M. = drittjüngster Stiefsohn)

A. Wieso dauerte es Zwölfeinhalb Jahre seit Beginn der Strafuntersuchungen, bzw. mehr als 10 Jahre seit meiner endgültigen Verhaftung bis zum letztlich rechtskräftigen Urteil? Erläuterungen:

I.Die Untersuchungshandlungen:
I.1. Mit Untersuchungshandlungen wurde im Herbst 1990 begonnen, unmittelbar nach Erscheinen einer BLICK-Story, worin ich durch eine in Deutschland lebende Drittperson H.L. schwer belastet wurde (siehe auch hier folgend I.2.,1 V.2-3., und unter B. I.2.-5.). Es handelte sich eindeutig um einen Racheakt, wie sich im laufe der Untersuchungen zeigte. Das wurde jedoch von der Untersuchungsrichterin völlig ausgeblendet.
I.2. In der Folge dauerten die "Untersuchungen" an bis im Frühjahr 1997, als Anklage gegen mich erhoben wurde. Was geschah in der Zeit?
Zwischen dem 16.10.90 (Tag der Belastungen durch H.L. via BLICK) und dem frühen Morgen des 13.02.1993 erfolgten, in unregelmässigen Abständen, mehrere Befragungen und Verhöre der Stiefsöhne, deren Mutter, diverser weiterer uns nahestehender Personen und mir selber (jeweils in Haft) durch die Obwaldner und Aargauer Kantonspolizei und einmal durch die Jugendanwaltschaft Aarau. Dabei fielen mehrmals bewaffnete Polizisten mehrmals frühmorgens in die Wohnung ein und rissen auch schon mal die Kinder eigenhändig aus ihrem Schlaf. Auch wurde K. über mehrere Tage vom Schulpsychologen von Brugg AG eingehend untersucht. Zudem gab es Verhöre der Stiefsöhne durch die Kripo Dresden und letztlich Befragungen als Zeugen vor Gericht im Verfahren gegen den Deutschen H.L. zu dessen Anschuldigungen gegen mich.
Es waren für die Kinder zweifellos sehr traumatische Erlebnisse.

All dies endete stets mit für mich gänzlich entlastenden Ergebnissen.

II. Weshalb reiste ich zusammen mit K. ins Ausland?
II.1 Nachdem ich vom 21. 11. 91 bis zum 08, 01. 1992, trotz nach wie vor nur entlastenden Untersuchungsergebnissen, in völliger Isolation in U-Haft war (Entlassung wegen mangelndem Tatverdacht durch das damals neu entstandene Haftrichteramt), beschloss ich in Absprache mit der Familie, dass ich mich vorübergehend ins Ausland begebe. In der Schweiz sah ich bei den immer wiederkehrenden BLICK-Storys keine Chance auf einen gut bezahlten Job. Durch die schon über ein Jahr dauernden zusätzlichen schweren Belastungen hatten wir uns verschuldet und benötigten dringend Geld. Auch schien mir eine Trennung von der Familie einstweilen die beste Lösung, in der Hoffnung, die Kinder und deren Mutter kämen nach den mehrfachen traumatischen Polizeieinsätzen gegen uns dann eher zur Ruhe.

II.2. Da K. unbedingt bei mir bleiben wollte und auch angesichts der Empfehlungen des Schulpsychologen begleitete er mich mit Mutters Segen.
Notabene konnte K. bei mir die dann ca. 6 Monate dauernde Abwesenheit und Ruhe für schulische Nachhilfe nutzen. Er war schon seit vor meinem Kennenlernen in Dresden schulisch um zwei Jahre zurückgeblieben. Nach dem Umzug in die Schweiz musste er in die 2. Klasse. Im Frühjahr 1992, mit knapp 12 Jahren, wäre er in die 3. gekommen. Als er, nach intensiven Bemühungen mit mir, Ende der Sommerferien 1992 wieder bei seiner restlichen Familie zuhause in Linn AG das neue Schuljahr antrat, bestand er auf Anhieb die Aufnahmeprüfung für die 5. Klasse. Sein Rückstand war damit aufgeholt. Allerdings bekam er, nach meiner endgültigen Verhaftung, keine Hilfe mehr für seine Legasthenie - noch in Freiheit und an unserem ersten Wohnort Mellingen AG hatte ich eine professionelle solche fur ihn noch organisieren können.

III. Weitere Untersuchungshandlungen während meines Auslandaufenthaltes:
III.1. Während meines weiteren Auslandaufenthaltes wurden am 20. Oktober 1992 alle Beteiligten - nebst mir selber auch meine Frau und alle meine Stiefsöhne sowie weitere, im Verfahren gegen mich schon teils mehrmals befragten Personen - als Zeugen vor das Gericht in Ulm zitiert, wo die Verhandlung gegen H.L. stattfand. Wir hatten ihn wegen Verleumdung angezeigt und er war, mehrfach entsprechend vorbestraft, zudem selber wegen Straftaten im Zusammenhang mit sexueller Ausbeutung von Kindern/Kinderpornographie angeklagt.
Alle oben erwähnten Zeugen wurden vom Vorsitzenden Richter eingehend zu H L.'s Anschuldigungen gegen mich befragt. Alle blieben bei ihren bisherigen, in der Schweiz und in Dresden gemachten, mich völlig entlastenden Aussagen.
Die Zürcher Untersuchungsrichterin in meinem Verfahren hatte zwei Beamte nach Ulm an die Verhandlung geschickt. Es ist anzunehmen, dass diese ihr hinterher über den Verlauf der Verhandlung berichtet haben. Doch in den Untersuchungsakten meines Verfahrens findet sich nichts dazu und auch weder in der Anklage, mündlich vor Gericht, noch im begründeten Urteil wurde daruber etwas erwähnt.
Zudem hatte sie behauptet, ich sei auf der Flucht. Tatsächlich hatte sie mich, obwohl ich nach meiner Entlassung durch den Haftrichter keine Auflagen hatte, nach meiner Abreise in der Schweiz ausgeschrieben. Ich informierte über meine jeweilige Kontaktadresse, wäre also für sie jederzeit erreichbar gewesen. Auch meldete ich mich jeweils bei den ausländischen Schweizer Vertretungen an.


IV. Wie kam es nun dazu, dass meine Stiefsöhne und ich im Februar in Paris waren? Wie zu unserer Verhaftung dort?
IV.1. Anfangs Februar 1993 - ich lebte mittlerweile teils in Rotterdam, teils in Paris bei einer alten Schweizerin und deren Mann - fragte mich meine Frau telefonsich, ob ich die Buben für die Sportferien zu mir nehmen könne. Sie wollte für die Zeit zur Erholung nochmals nach Dresden zu ihren Verwandten; die Buben würden sich darauf freuen, wieder mal Zeit mit mir verbringen zu können.
Ich sagte zu und holte die Buben in Brugg AG (wo Frau und Kinder inzwischen lebten) ab. Wir verbrachten dann einige Tage in Rotterdam. Anschliessend fuhren wir für das Wochenende vor dem Ende der Sportferien am Montag noch nach Paris, um unsere gemeinsame alte Schweizer Bekannte zu besuchen und mit den Buben auf den Eiffelturm zu gehen.

IV.2. Am Samstag frühmorgens (13.02.1993) wurden wir in Paris verhaftet. Wie sich herausstellte, hatte die Zürcher Untersuchungsrichterin direkt an die Pariser Polizei einen Fax geschrieben, in dem sie mich als eine Art 'grossen Fisch' im internationalen Kindersexhandel bezeichnet haben soll. So in etwa jedenfalls mein dortiger Pflichtverteidiger, der in das Papier Einblick, aber keine Kopie bekam. Dieses Dokument blieb daraufhin bis heute unerhältlich.

IV.3. Die Stiefsöhne U., K. und M. wurden in der Folge mehrmals polizeilich verhört. Fragen sind praktisch keine protokolliert, von der Unterschrift wurden sie dispensiert.

IV.4. U. soll angeblich schon anlässlich der gerichtsmedizinischen Untersuchung laut der begleitenden Polizistin Belastendes gegen mich ausgesagt haben. Bei den Verhören bei der Polizei tagsüber in den folgenden Tagen soll er noch mehr gesagt haben.

IV.5. K. und M. haben mich gemäss den Protokollen bei den dortigen polizeilichen Befragungen wiederholt nur entlastet, wobei K. am letzten Tag, am 17.02.93, nachdem sie die Mutter am Tag davor schon abholen wollte, sie jedoch erneut nachts getrennt im Heim bleiben mussten, mich in seiner letzten Einvernahme plötzlich angeblich schwer belastete.
Heute ist bekannt, dass nicht nur die Mutter tags davor durch die Polizei belogen wurde (es gebe "hieb- und stichfeste medizinische Beweise fur die Anschuldigungen gegen Ihren Mann"), sondern auch den Stiefsöhnen, - jeweils bezüglich der anderen beiden - dieselbe Unwahrheit aufgebunden wurde. Zudem sei ihnen gedroht worden, sie müssten in Frankreich bleiben und würden ihre Mutter nie mehr sehen. (Schon in der Schweiz, anlässlich eines polizeilichen Überfalls in Linn AG, hatten Polizisten in unser aller Anwesenheit, auch für die Kinder hörbar, der Mutter gedroht, man werde ihr die Kinder wegnehmen, wenn sie, meine Frau, mich weiter "decken" würde.)

IV.6. Unmittelbar nach K.'s letzter Einvernahme durfte die Mutter mit ihren Kindern in die Schweiz zurück nach Hause fahren.

V. Weshalb dauerte meine Pariser Haft derart lange?
V.1. Die Schweiz stellte ein Auslieferungsbegehren, welchem ich sogleich zustimmte. Trotzdem blieb ich in Paris bis zum Juni 1996 inhaftiert, bevor ich endlich an die Schweiz ausgeliefert wurde.

V.2. Es wurde dort zunächst untersucht, ob ich meine Stiefsöhne sexuell ausgebeutet habe und allenfalls noch ein weiteres Kind, das seinerzeit bei uns in der Schweiz zusammen mit seiner erwachsenen Schwester Ferien verbracht hatte. Der obgenannte Deutsche H.L. hatte auch an französische Medien und an die Pariser Polizei entsprechende Behauptungen gerichtet. Diese Verfahren wurden in Paris zwei Jahre später eingestellt, nachdem die Untersuchungen "die Belastungen durch die Drittperson nicht erhärten konnten".

V.3. Verurteilt wurde ich allerdings schliesslich doch noch, zu einer Busse, welche später in 8 Monate Haft umgewandelt wurde. Dies weil ich eine Videokassette mit kinderpornographischen Aufnahmen dabei hatte.
Dabei handelte es sich allerdings um einen mich entlastenden Beweis gegen konkrete Anschuldigungen desselben Deutschen, wonach ich darin als erwachsener Akteur tätig sei. Das hatte er im November 1991 gegenüber der Polizei behauptet und auch gleich das Videoband dazu bereitgestellt. Schon da war aber schnell klar, dass es sich auf dem Band um völlig fremde Personen handelte.
Da mich die Zürcher Untersuchungsrichterin jedoch wider besseren Wissens dann doch genau wegen dieser Behauptung weiter in U-Haft behielt, liess ich eine Kopie des (sich im Besitz der Zürcher Behörden befindlichen) Originalbandes erstellen und führte es künftig immer in einem abgeschlossenen, klar mit "Vertrauliche Verteidigungsakten" gekennzeichneten Aktenkoffer als Teil meines kompletten Verteidigungsdossiers im Auto mit mir. Ich wollte mich damit künftig vor solchen falschen Anschuldigungen des Deutschen schützen, Die totale Isolation in einem winzigen Kellerraum im Bezirksgefängnis Zürich über mehrere Wochen lösten schwere Magenblutungen bei mir aus, welche nach meiner Entlassung Spitalbehandlung erforderten.
Die Pariser Richter interessierten sich leider nicht fur meine Ausführungen, wiesen meinen Antrag auf entsprechende Abklärungen mit den Schweizer Behörden ab und verurteilten mich innert Minuten wegen "Nichtanzeigen eines einem Kind zugefügten Leides" sowie wegen "Hehlerei eines aus einem Verbrechen stammenden Gegenstandes" - die französische Weise des Kampfes gegen Kinderpornographie, da es damals noch kein Gesetz gab, welches solchen Besitz explizit verboten hätte.

V.4. Als nach der Einstellung des Pariser Hauptverfahrens immer noch viel Zeit verstrich, ohne dass sich etwas getan hätte, bat ich schliesslich den Schweizer Botschafter um eine diplomatische Intervention. Dieser erfragte beim Aussendepartement in Bern eine Zustimmung dafür, wurde aber an die Fallverantwortliche in Zürich, die erwähnte Untersuchungsrichterin, verwiesen. Diese verbot ausdrücklich jede Handlung, welche meine Auslieferung an die Schweiz beschleunigen sollte.

VI. Wie ging es dann in der Schweiz weiter?
VI. 1. Nach der endlichen Überstellung nach Zürich im Juni 1996 kam ich erst einige Zeit in Polizeihaft, dann ins Bezirksgefängnis Affoltern am Albis ZH. Dort blieb ich bis im Juli 1998. In der Zeit wurden von den beiden Stiefsöhnen U. und K. deren angeblichen Pariser Aussagen nochmals abgefragt. U. sagte nun anders aus, während K. mehr oder weniger die in Paris angeblich von ihm selber stammenden Aussagen bestätigte. Auch ich wurde mehrmals befragt, wobei ich, wie auch bisher immer, alle Anschuldigungen bestritt. Auch wurde ich in der Zeit gerichtspsychiatrisch begutachtet.

VI.2. Auch in diese Zeit fiel, Herbst 1997, die Verurteilung beim Bezirksgericht Zürich mit der längeren Zeitstrafe. Zuerst ich, dann die Staatsanwaltschaft zogen das Urteil weiter.

VI.3. Nach meiner Überstellung in die Strafanstalt Pöschwies erfolgte im Dezember 1998 die Verurteilung vor dem Zurcher Obergericht mit einer kürzeren Zeitstrafe, aber dafür Verwahrung. Ich zog das Urteil weiter ans Kassationsgericht.

VI.4. Kurz vor der Obergerichtsverhandlung war mir von meinem damaligen Verteidiger übermittelt worden, dass der Staatsanwalt ein Geständnis von mir wünsche, andernfalls ich verwahrt wurde. Ich wäre, angesichts der schon verbüssten Haftzeit, kurz nach dem Urteil freigekommen. Doch ich konnte darauf nicht eingehen, vertraute damals zudem auch noch darauf, dass diese Drohung nicht tatsächlich umgesetzt werden würde. Bekanntlich wurde sie es.

VI.5. Direkt nach der Verhandlung suchte mich der Staatsanwalt im verschlossenen Warteraum auf, wo die freiwillige Sozialbetreuerin der Justizdirektion bis zu meinem Abtransport noch bei mir blieb. Er drohte mir ohne Umschweife wörtlich: "Wenn Sie nun wieder weiterziehen (Beschwerde ans Kassationsgericht), dann garantiere ich Ihnen dass Sie noch in 20 Jahren im Gefängnis sein werden!" Auch diese Drohung wurde bis heute schon nahezu umgesetzt.

VII. Wie kam es zum Widerruf der Stiefsöhne?

VII.1. Im März 2000 informierte mich mein Anwalt  über einen Anruf bei ihm meines Stiefsohnes K., der ihm gesagt habe, er hätte mich damals falsch beschuldigt und wolle dies nun zurücknehmen. Der Anwalt habe ihm geraten, dies schriftlich ans Gericht zu tun. Bald darauf erhielt ich vom Anwalt die Kopie eines entsprechenden, von K. unterzeichneten, handgeschriebenen Fax.
Mir war sogleich klar: K. hatte gewartet - infolge seiner Abhängigkeit von der Mutter warten müssen - bis zu seiner Volljährigkeit (welche in der DDR erst mit 20 erfolgte, worauf sich die Mutter trotz hierzulande anderem Gesetz auch schon bezüglich ihrer deutlich älteren Söhnen berufen hatte). Erst dann konnte er von Zuhause ausziehen und fühlte sich damit endlich selbständig.
Seit Paris wollte meine Frau nichts mehr hören über mich und über 'die ganze Sache', wie mir meine Stiefsöhne seither berichteten. Kein Brief von mir war beantwortet worden, kein Besuch von ihr erfolgte in all den Jahren. Daran hat sich bis heute nichts mehr geändert, und vor einigen Monaten reichte ich schliesslich die Scheidung ein. Ich hatte die Hoffnung, 'meine' Familie doch noch zu 'retten', endgültig aufgegeben.
Auch U. würde sich erst nach Erreichen seines 20. Altersjahres bei der Justiz mit einem Widerruf melden.

VII.2. Erst 2002 wurde K. schliesslich von der Untersuchungsrichterin, inzwischen zur Staatsanwältin befördert, einvernommen. Er schilderte eindrücklich, wie er damals in Paris und auch in der Schweiz unter Druck gesetzt worden sei durch Polizei und durch Untersuchungsbehörden.

VII I. Was verzögerte sonst noch das weitere Verfahren?
VIII.1. Im Sommer 2001 hatte das Kassationsgericht meinen damaligen Verteidiger entlassen und kurzerhand gleich einen neuen Pflichtverteidiger für mich eingesetzt.

IX. Zum zweiten und bisher letzten Obergerichtsurteil in derselben Strafsache:

IX.1. Im Juli 2003, mehr als Viereinhalb Jahre nach dem ersten Obergerichtsurteil, kam es vor dem gleichen Gericht erneut zur Verhandlung.

IX.2. Inzwischen hatte auch U. sich bei seinem Opferanwalt gemeldet, um seinerseits die damaligen Aussagen als falsch zu bezeichnen. Er sagte nun vor Gericht als Zeuge entsprechend aus und schilderte ebenfalls die traumatischen Umstände in Paris, welche ihn zu den Falschaussagen getrieben hätten. Der Staatsanwalt drohte ihm dabei unverhohlen mit einer Anzeige wegen "Begünstigung des Angeklagten", was in diesem Falle jedoch nicht in die Tat umgesetzt wurde.

8. Wie kam es überhaupt zu diesen Anschuldigungen gegen mich?

Präzisierungen:
I. Wurde ich, vor meiner Verhaftung in Paris, je von einem Stiefsohn oder von der Mutter oder von sonst jemandem aus dem Beziehungsumfeld sexueller Übergriffe beschuldigt?

I.1. Nein. Auch in meinem ganzen bisherigen Leben gab es nie dergleichen. Allerdings kam es im Sommer 1985 ein erstes und letztes Mal in meinem Leben zwischen mir und einem 14jährigen Freund aus England zu einvernehmlichen gegenseitigen sexuellen Zärtlichkeiten. Dafür wurde ich in England zwei Jahre später verurteilt (ein Jahr Gefängnis).
Dies hatte die englische Polizei aufgrund Verdachtsäusserungen per direktem Fax von den Zürcher Untersuchungsbehörden aus dem dann 16-Jährigen in England herausgepresst (wie er es mir selber später erzählte).
Der inzwischen knapp 45-Jährige IT-Spezialist bei einer grossen Firma in England bezeichnet mich heute noch als "besten Freund". Er war schon damals schwul und lebt heute glücklich mit einem Mann im gemeinsamen Eigenheim. Wir pflegen lockeren Kontakt.

I.2. Die Strafuntersuchungen betreffend meiner Stiefsöhne wurden aufgrund der verleumderischen Medienkampagne durch den Deutschen H.L. im Oktober 1990 und Schreiben von ihm an diverse Schweizer Medien und Polizei- und Justizbehörden aufgenommen.

I.3. Bis 1996 oder 1997 behauptete er in vielen weiteren solchen Schreiben, aber auch bei Befragungen in einem eigenen Strafverfahren.

I.4. Im weiteren Verlauf kam es zu äusserst fragwürdiger Zusammenarbeit zwischen ihm und einem bekannten deutschen Kriminalkommissar aus Ulm.
Diesem lieferte er haarsträubende angebliche "Zeugnisse aus der Kindersexmafia in Deutschland und der Schweiz", und behauptete gar u.a., ich hätte "vor laufender Kamera Knaben den Bauch aufgeschlitzt". Mit solchen haarsträubenden angeblichen "Zeugnissen" eines "Kenners der Szene" kam darauf ein Buch heraus, das wie ein wissenschaftliches Werk daherkam ("'Grünkram' - die Kindersexmafia in Deutschland und der Schweiz", Paulus/Gallwiz, Deutscher Polizeiverlag, 1996/97).
Zusammen mit diesem Kriminalkommissar trat er schliesslich auch in TV-Sendungen auf, verbreitete oft unterschiediche Behauptungen über mich und meine angeblichen monströsen Verbrechen.

I.5. H.L. hatte ursprünglich, wie ich kurz nach Veröffentlichung seiner Beschuldigungen aus dem Mund meiner damals noch Verlobten erfuhr, ihr anlässlich eines Besuchs bei ihr Monate zuvor in Dresden just solcher Art Geschäfte mit ihren Kindern angeboten, wie er sie mir via die Boulevardpresse später andichtete (Schlagzeile im BLICK am 16.10.1990: "Schweizer kauft DDR-Buben für Pornos" - er wechselte in der Folge mehrmals den Kontext seiner Anschuldigungen). Er könne mit ihren Buben viel Gewinn durch Aufnahme von und Handel mit Kinderporno erzielen, denn er kenne in Deutschland und der Schweiz viele wohlhabende Männer, die dafür teures Geld bezahlen würden. Er habe ihr angeboten, den Erlös mit ihr "Fifty-Fifty" zu teilen.
Dass sie nicht zustimmte und ihm schliesslich "einen Korb" erteilte, sich statt dessen für mich entschied, zu mir zog und mich heiraten wollte, sei der Grund, weshalb er sich nun mit solchen öffentlichen Beschuldigungen räche, laut meiner damaligen Verlobten.
Sie hatte mir leider von all dem zuvor kein Wort gesagt.

II. Was sagten, bis zu meiner endgültigen Verhaftung, die Stiefsöhne und die übrigen Familienangehörigen und Bezugspersonen über mich?
II.1. Seit meinem Kennenlernen der Familie und meinen späteren Stiefsöhnen bis zu den Befragungen in Paris (13.-17.02. 1993) hatte es nie irgendwelche Klagen, Beschwerden oder Belastungen über/gegen mich von Seiten der 5 Stiefsöhne (von denen zwei schon bei meinem Kennenlernen der Familie im April 1990 erwachsen waren) gegeben, ebensowenig von deren Mutter (meiner Ehefrau ab 7.12.1990) oder von sonst irgend einer uns nahestehenden Person, wie Verwandte der Stiefsöhne/Mutter, Lehrer/Lehrerin der Kinder, Schulpsychologe (spezielle Untersuchung von K., dem angeblichen Hauptgeschädigten, im November 1992), Nachbarn etc.

II.2. Die Stiefsöhne wurden insgesamt rund ein Dutzend Mal befragt oder verhört, erstmals noch am Tag des ersten Bekanntwerdens der öffentlichen Anschuldigungen durch den oben erwähnten Deutschen und letztmals am 17.02.1993 in Paris, wo U. und K. schliesslich erstmals angeblich belastende Aussagen machten ('angeblich', weil sie als Erwachsene später erklärten, dass ihnen alles vorgesagt worden sei).

II.3. Die dann mich belastenden Befragungsprotokolle der Stiefsöhne U. und K. in Paris sowie die späteren, wenn auch teils unterschiedlichen Erneuerungen der Belastungen in der Schweiz sprachen von sexuellen Handlungen und Nötigungen während dreier Jahren. Liest man die Protokolle, so ist darin die Rede von "mehrmals die Woche", "jeweils 1-3 Stunden Dauer", und schliesslich von "Dresden" ("Dort erstmals Analverkehr mit K.", damals 10jährig), in der Schweiz in Mellingen und Linn AG und Susch GR, in Libyen in Shebha und Tripoli, in Holland in Rotterdam, in Frankreich in Paris", als jeweilige Tatorte. Also an sämtlichen in der Zeit von uns bewohnten oder auf Reisen mit den Stiefsöhnen besuchten Orten, insgesamt angeblich unzählige Male, jeweils stundenlang, über mehr oder weniger drei Jahre hinweg - vom ersten Tag des Kennenlernens der Familie in Dresden (30.04.1990) bis unmittelbar vor unserer Verhaftung in Paris (13.02. 1993),. "gnadenloser Analverkehr" ...
Solche Details sind wichtig zu wissen angesichts der gerichtsmedizinischen Untersuchungsergebnisse im Spital "Hôtel Dieu" von Paris, welche bei K. und U., den bei den "Geschädigten", keinerlei Anzeichen irgendwelcher sexueller Handlungen oder Übergriffe, schon gar keine Anzeichen von Analpenetrationen ergaben.

C. Laut Gesetz müssen Verwahrte (nach Art. 64 StGB) am Anfang nach spätestens 2 Jahren, danach jährlich "überprüft" werden. Wie sieht die Realität aus?

I. Was passiert bei einer jährlichen Überprüfung (aus Sicht des Verwahrten)?
I.1. Normalerweise erhält der Verwahrte eines Tages eine normale Besuchsbewilligung, wie sie auch etwa bei Familienbesuchen ausgestellt wird. Darauf steht der Name des Fallverantwortlichen für den betreffenden Verwahrten und die Adresse des Zürcher Justizvollzugs. Der Name wechselt nicht selten und auch der Zeitpunkt viel zu unterschiedlich und daher völlig unvorhersehbar, sodass für den Verwahrten nicht unbedingt klar ist, um was es bei dem Besuch gehen wird.

I.2. Der Verwahrte wird dann im Besuchsraum vom Fallverantwortlichen begrüsst und gefragt, wie es ihm gehe. Die nächste Standardfrage - in meinem Falle war dies eine und auch andere Mitverwahrte bestätigen dies - lautet sinngemäss: "Hatten Sie seit der letzten Überprüfung irgendwelche Therapien oder Kurse absolviert?" Dies muss wohl in den meisten Fällen verneint werden, da Verwahrten in der Regel gar keine Therapie angeboten wird. Es gibt Ausnahmen; Gefangene, die sich einen guten Anwalt leisten, bzw. einen solchen überhaupt engagieren können. Und in letzter Zeit hört man etwas häufiger von Verwahrten, welche doch in ein Programm des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes der Justiz (PPD) aufgenommen oder zumindest für eine Therapieabklärung zugelassen werden. Doch die grosse Mehrheit dürfte noch immer ohne jegliche Perspektive sein.
Viel länger als 15 Minuten dauert das Gespräch jedenfalls nicht, Zeit für Handnotizen des Fallverantwortlichen mit einbezogen. Falls überhaupt weiter nachgefragt wird; nach meinen eigenen und von Dritten gewonnenen Erfahrungen lautet der 'Bericht' daraufhin in aller Regel, ohne weitere 'Überprüfungen ", lapidar so oder ähnlich: "keine Veränderungen, es wird die Weiterführung der Verwahrung empfohlen." Und postwendend amtlich verfügt.

I.3. Gute Verteidiger gibt es viele, Vollzugsspezialisten darunter deutlich weniger. Noch weniger sind solche, welche auch dann bereit sind zu helfen, wenn ein Verwahrter kein Geld für Vorschüsse hat (die ein Anwalt (für Aktenvorstudium, ersten Besuch etc.) braucht, solange eine unentgeltliche Rechtspflege nicht feststeht und gewährt wurde).
Aber es gibt sie, diese human denkenden und handelnden Anwälte, welche angesichts von Verzweiflung bei einem um Hilfe bittenden Langzeitgefangenen ein finanzielles Risiko in Kauf nehmen, trotz teurer Kanzlei-Infrastruktur und -Personalkosten.

Wenige Betroffene haben das Glück, einen solchen Anwalt an ihrer Seite zu haben, denn sie sind natürlich seit der zunehmenden Verschärfung im Straf- und Massnahmerecht weitestgehend ausge- wenn nicht gar überlastet.
Und selbst diese meist besonders hoch qualifizierten und entsprechend hoch angesehenen Anwälte können keinen Erfolg versprechen, auch dann nicht, wenn die Umstände, die Argumente, die Frage nach dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz aus Sicht eines jeden vernünftig denkenden Menschen alles scheinbar günstiger kaum sein könnte. Der durch populistische Hetze und oft irrationale Angstmache über die vergangenen gut zwei Jahrzehnte entstandene öffentliche Druck ist heutzutage meist stärker als Menschlichkeit und Vernunft.
Ich habe selber miterlebt, wie ein bestdotierter Anwalt durch die Fachkommission (welche bei Verwahrten jegliche Anträge der Vollzugsbehörden auf Entlassung oder auch nur Haftlockerungen prüfen muss) nichts erreichte; nicht einmal sichere begleitete Ausgänge wurden bewilligt. Dies nach einem äusserst günstig lautenden psychiatrischen Gutachten (keine Persönlichkeitsstörungen festgestellt, Entlassungsempfehlung) und sehr gutem Führungszeugnis. Selbst die brillanteste und sorgfältigste Verteidigereingabe wird bei Verwahrten oft so gut wie völlig ignoriert und kalt abserviert.

I.4. Eine solche Uberprüfung, bei welcher durch den Justizvollzugsdienst nach einer wie unter I.1.-2. die simple Weiterführung der Verwahrung verfügt wurde, kann von einem Anwalt angefochten werden mittels einem Rekurs an die Justizdirektion.
Ist es schon einige Jahre her seit dem letzten psychiatrischen Gutachten, so kann versucht werden, ein neues Gutachten zu erkämpfen. Hat man Erfolg, kann es leicht ein Jahr oder länger dauern, bis dieses vorliegt. Dass ein solches Gutachten, besonders wenn frühere schon eine schlechte Prognose stellten, besser ausfällt, ist sehr selten. In meinem hiervor beschriebenen Fall hatte ich das Glück, dass der Gutachter, der kurz vor seiner Pensionierung stehende damalige Chef der Psychiatrischen Universitätsklinik war, der sich unbeirrte Eigenständigkeit bei seiner Beurteilung leisten konnte, da er nicht mehr um seine Karriere oder Pension fürchten musste.
Werden, wie in den allermeisten Fällen, die Anträge etc. der Verteidigung auf Haftlockerungen nach Vorlage des Gutachtens vom Amt für Justizvollzug erneut abgewiesen, so kann dagegen bei der Justizdirektion Rekurs eingelegt werden.
Diese wird fast immer den Entscheid der Vollzugsabteilung stützen. Da es sich bei der. Justizbehörde um eine Verwaltung handelt, kann daraufhin mit einer Beschwerde ans kantonale Verwaltungsgericht gelangt werden. Dort hat man zwar etwas eher Chancen auf Erfolg als bei der Vorinstanz, aber ein solcher bleibt bei Verwahrungspüberprüfungen auch da immer noch die Ausnahme.
Dann bleibt noch eine staatsrechtliche Beschwerde ans Bundesgericht in Lausanne. Erst in den letzten etwa drei bis vier Jahren kam es in einigen Einzel fällen zu einer Gutheissung der Beschwerde mit einem letztlich guten Ausgang für den Betroffenen. Ansonsten verliert man oder erreicht höchstens einen Teilsieg wegen irgendwelchen formalen Fehler, wobei die Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung zurückgewiesen wird.
Dies endet dann meist dennoch mit einer Niederlage und der Verwahrte bleibt drin. Verwahrte gelten schon per Definition im Verwahrungsartikel als "nicht therapierbar".

I.5. Diese ganze Kette von Instanzenwegen plus jeweils immer auch noch langwierige Schriftwechsel mit Repliken und Dupliken von beiden Seiten, kann leicht bis zu drei Jahren oder gar noch länger dauern. In dieser Zeit finden keine "jährliche Überprüfungen' statt, sie werden suspendiert. Ich selber hatte in den 14 Jahren seit 2003 mit dem rechtskräftigen Urteil nur etwa dreimal eine dieser 'Pseudoüberprüfungen' wie oben unter I.1.-2. beschrieben. "Echte" Überprüfungen gab es meiner Erinnerung nach drei- oder viermal und diese dauerten alle sehr lange.

I.6. Von in letzter Zeit schon einigen wenigen Ausnahmen abgesehen (wie oben erwähnt) kriegt Einer im günstigsten Falle dank einer solchen, von einem Anwalt unterstützten Überprüfung vielleicht doch einmal ein Therapieangebot gewährt oder wenigstens die Anordnung an den PPD, seine Therapierbarkeit (neu) abzuklären. Das führt, vielleicht, mit viel Glück, nach einer gewissen Zeitspanne zu einer Umwandlung seiner Verwahrung in eine "kleine" solche nach Art. 59 StGB (bei nicht-Geständigen ausgeschlossen).
Dann allerdings fängt erst mal eine 5-Jahresperiode an zu laufen, nach deren Ende erst geprüft wird, ob die Therapie bislang erfolgreich verlief. Je nach Berichten oder neuem Gutachten können dann langsam Lockerungsschritte geplant werden oder gar eine bedingte Entlassung in Betracht gezogen werden. Meist jedoch wird die Massnahme um weitere 5 Jahre verlängert. Das kann beim 59er unbegrenzt oft geschehen; mit mindestens einer Verlängerung müssen, so scheint es, jedoch die Allermeisten rechnen.
Nicht so selten wird einer aber aus einer 59er-Massnahme auch (wieder) in die "ordentliche" Verwahrung (zurück-)versetzt.
Therapeuten beim PPD wechseln häufig; nicht selten scheint einer 'zu günstige' Berichte zu schreiben über seinen Therapanden. Dann übernimmt schon mal ein 'Hardliner' die weitere "Therapie" ... Auch da braucht einer viel Glück, wenn er weiter kommen will - bestmögliches Mitmachen und Kooperieren, gutes Verhalten; all dies muss nicht erfolgversprechend sein; es droht dennoch ständig die Gefahr von Rückschlägen, etwa weil ein neuer Therapeut oder Psychologe dem Insassen nicht wohlgesinnt ist, weil in den Zeitungen wieder mal von einem Rückfälligen irgendwo im Lande die Rede ist oder ganz einfach, weil die Methode beim PPD vielmehr auf 'Gehirnwäsche' und zuweilen scheinbar fast schon eher auf Unterdrückung der Persönlichkeit eines Gefangenen, als auf Heilung jener seelischen Leiden abzielt, welche vielleicht die ursprünglichen Straftaten begünstigt hatten.
Beat Meier
JVA Pöschwies
Roosstrasse 49
CH-8105 Regensdorf
Regensdorf, 14.-18. Juni 2017

 
Suchen
Zurück zum Seiteninhalt | Zurück zum Hauptmenü